Was haben ein Beratungstermin zur OEE-Kennzahl und eine Mathevorlesung im Studium gemeinsam? Da steht jemand stundenlang vor Ihnen, redet sich den Mund fusselig und versucht krampfhaft mit merkwürdigen Hieroglyphen das Ganze halbwegs verständlich rüberzubringen – in der Regel mit mäßigem Erfolg. Bis jemand wagemutig die Hand hebt und fragt:
Mit ein paar Beispielen fällt dann der Groschen. Also genug der Vorrede:
Das ist Ihnen etwas zu salopp? Für die große Sensibilisierungs-Session mit Ihren Kollegen gibt‘s in unserem PI-Lexikon unter Was ist die OEE-Kennzahl? auch noch das bunte Drumherum.
Die OEE-Kennzahl kommt als einfaches Produkt aus Verfügbarkeit, Leistung und Qualität daher und lässt sich wie folgt berechnen:
Verfügbarkeit * Leistung * Qualität = OEE
Beispiel:
0,8 * 0,9 * 1 = 0,72 = 72%
Sehr schön! Aber was sagt mir nun diese Zahl? Die OEE-Kennzahl dient vor allem dazu, Verschwendung bzw. Leistungsverluste, in der Lean Production auch Muda genannt, aufzudecken:
In unserem Beispiel (72 Prozent) hat unsere Produktion also ein paar Wertschöpfungs-Federn in Sachen Verfügbarkeit und Leistung gelassen. Dafür ist die Qualität ausgezeichnet, da es keinen Ausschuss gibt – wohlbemerkt an der betrachteten Maschine.
Ein OEE-Kennzahlen-Wert von 72% klingt aber nicht besonders schmeichelhaft? Keine Sorge. Laut einem Benchmark ist das ein typischer Wert (in der diskreten Produktion):
Wir gehören also noch nicht zur OEE-Weltklasse, sind aber auf einem guten Weg dorthin. Seien Sie aber nicht zu eitel. Bei Kennzahlen, wie der OEE-Kennzahl, geht es immer um Verbesserungen. Und die oben genannten Zahlen repräsentieren eh nur einen kleinen Ausschnitt aus der großen Welt der Produktion.
Zeit – um genauer zu sein, die Auftrags-Durchlaufzeit – ist Geld, Termintreue und Kundenzufriedenheit. Die Formel des Verfügbarkeitsfaktors der OEE-Kennzahl ist entsprechend etwas feingranularer:
Ein Beispiel:
Die Verfügbarkeit sagt Ihnen, ob Ihre Maschine reibungslos und ohne unnötige Unterbrechungen läuft, wenn Sie für die Produktion gebraucht wird. Mit einer Verfügbarkeit von etwa 80% sind Sie in der Produktion also gut dabei. Sie könnten mit Ihrer Maschine aber durchaus mehrere Stunden länger produzieren.
Die Mischung macht’s in der OEE-Kennzahl. Die Formel des Verfügbarkeitsfaktors ist rein mathematisch zwar einfach. Allerdings haben die Auswahl und Definition der einzelnen Verfügbarkeitsverluste einen erheblichen Einfluss. Deshalb ist es wichtig sich klarzumachen, was man mit der OEE-Verfügbarkeit eigentlich erreichen will: Richtig! Sie wollen Verschwendung in Form von überflüssigen Stillständen reduzieren. Also sollten Sie von der Produktionszeit auch hemmungslos alles subtrahieren, was sich optimieren lässt:
Moment mal. Durften wir geplante Stillstände nicht einfach von der Arbeitszeit abziehen und unsere OEE-Kennzahl damit verbessern? Die Sache ist leider nicht immer ganz eindeutig. Turnusmäßige Wartungsarbeiten sind wie beim Menschen das Waschen und Zähneputzen – zumindest bei den meisten von uns. Sie müssen es nicht unbedingt tun – wovon einige Zeitgenossen auch Gebrauch machen. Auf lange Sicht gefährden Sie aber Ihre Gesundheit. Genauso führt der Wegfall von nötigen Wartungsarbeiten früher oder später zu technischen Störungen und gefährdet die Sicherheit Ihrer Mitarbeiter.
Sie lassen sich also nicht ohne Weiteres optimieren. Das Rüsten einer Maschine bei einem neuen Fertigungsauftrag oder eine operativ geplante Reinigungsaktivität oder ein Instandhaltungsauftrag sind prinzipiell ebenfalls geplant und notwendig. Allerdings lässt sich der genaue Zeitpunkt und Umfang durchaus optimieren und Zeit einsparen. Deshalb erfolgt in diesem Fall auch immer eine Subtraktion von der Produktionszeit. Aber egal wie Sie es anstellen: Am Ende bleibt die Frage, ob ein geplanter Stillstand notwendig, gewünscht bzw. nicht-optimierbar ist, eine Frage der Definition.
Am Ende soll eine Maschine wie alles in der Produktion vor allem eines: Wertschöpfende Arbeit verrichten. Also Materialien zu Produkten bzw. Halbfabrikaten verarbeiten, die der Kunde bestellt hat. Und genau das drückt die Formel der Leistung auch aus:
Leistung = Ist-Produktionsmenge / Soll-Produktionsmenge oder
Leistung = Ist-Produktionsmenge / (Produktionszeit / vorgegebene Taktzeit)
Erwecken wir die OEE-Leistungs-Formel durch ein kleines Beispiel zum Leben:
120 hergestellte Produkteinheiten A / 150 geplante bzw. bestellte Produkteinheiten A = 0,8 = 80%
oder mit Taktzeit
3 hergestellte Produkteinheiten B / (22h / 5h Taktzeit für Produkt B) = 3 / 4,4 = 0,68 = 68%
Werden verschiedene Produkte bzw. Varianten gefertigt, müssen Sie diese entsprechend gewichten, z.B.:
0,8 für Produkt A + 0,68 Leistung für Produkt B / 2 = 0,74 = 74%
Unser guter alter gewichteter Durchschnitt. Ebenso denkbar aber datentechnisch anspruchsvoller ist eine Gewichtung anhand des akkumulierten Verkaufswertes, z.B.:
150*300 Euro = 45.000 Euro
4,4*15.000 Euro = 66.000 Euro
45.000 Euro + 66.000 Euro = 110.000 Euro
Macht einen Anteil von 45.000/110.000 Euro = 41% für Produkt A bzw. 59% für Produkt B
Die Leistung ergibt sich dann wie folgt:
0,8*0,41 + 0,59*0,68 = 0,328 + 0,401 = 0,729 = 73%
Lassen sich die geplanten Produktionszeiten auf den einzelnen Fertigungsauftrag herunterbrechen, können Sie diese natürlich auf jede Produkteinheit separat heranziehen und z.B. die einzelnen Leistungskennwerte nach der Produktionszeit gewichten. Aber Vorsicht! Setzen Sie rechtzeitig Grenzen, um die Berechnung des OEE-Leistungsfaktors nicht ausarten zu lassen.
In unserem Fall scheint unsere Produktion gar nicht mal so schlecht zu laufen. Immerhin ein Leistungs-Wert von über 70%. Allerdings scheinen die Maschinen nicht im vorgegebenen Kundentakt zu laufen. Die realen Taktzeiten sind also zu langsam, z.B. aufgrund einer verminderten Maschinengeschwindigkeit, oder es gibt zu viele Micro-Stopps bzw. Kurzunterbrechungen.
Der Leistungsfaktor birgt die Gefahr, dass die Kennzahl im Detail zu komplex wird. Schließlich können Sie Ihrer Fantasie, insbesondere beim Gewichten und bei der Granularität der Planungsdaten freien Lauf lassen. Natürlich sollte man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Vor allem in der Prozessindustrie, wo teilweise je nach Kundenwunsch stark voneinander abweichende Chargen- bzw. Losgrößen existieren, ist Vorsicht geboten. Schließlich will man nicht eine meterdicke Premiumfolie mit einer zentimeterdicken – bezogen auf den Rollendurchmesser – Hinz-und-Kunz-Folie in einen Topf werfen.
Ein weiteres Problem ist der Umgang mit einer OEE-Leistung von über 100%. Klingt doch spitze oder? Nun ja. Auch Überproduktion ist eine Form der Verschwendung – und zwar eine ganz Üble. Außerdem kann es sogar sein, dass Ihre Maschinen systemisch überlastet sind und unnötig mit der Zeit verschleißen. Damit nicht fälschlicherweise die OEE-Faktoren ausgeglichen werden, empfiehlt es sich in diesem Fall entweder den Kehrwert zu nehmen oder die Überproduktion als Leistungsverlust zu deklarieren, z.B.:
100 Soll-Einheiten / 120 produzierte Einheiten = 0,83 = 83%
oder
(100 Soll-Ausbringung – 20 Überproduktion) / 100 Einheiten Soll-Ausbringung = 0,8 = 80%
Dem Kunden ist es natürlich herzlich egal, ob Ihre Maschinen ausgelastet sind. Wichtig ist ihm, dass seine Ware pünktlich, in der richtigen Menge und vor allem auch in der gewünschten Qualität ankommt. Denn je später ein Fehler in der Produktion erkannt wird, desto teurer wird’s am Ende. Und auch für Sie heißt Ausschuss Verschwendung von Material und Arbeitskraft.
Die Formel des OEE-Qualitätsfaktors gibt deshalb völlig unverblümt das Mengen-Verhältnis zwischen fehlerfreien Produkteinheiten und der produzierten Menge wieder:
Qualität = Null-Fehler-Ausbringung / Ist-Ausbringung
Bei der Qualität ist der Fall relativ einfach. Stellen Sie sich vor, Sie unterziehen Ihre Produkte an einer Maschine einer fertigungsbegleitenden Qualitätsprüfung, dann könnte die Berechnung wie folgt aussehen:
90 fehlerfreie Produkteinheiten / 110 produzierte Einheiten = 0,818 = 81,8%
Der Rest landet in der Tonne, z.B. aufgrund von Kratzern, Rissen oder anderen Oberflächenbeschädigungen.
Der Qualitätsfaktor ist ein ziemlich direkter Zeitgenosse und gibt Ihnen einen Überblick darüber, an welchem Arbeitsgang bzw. an welcher Maschine in der Produktion es besonders zu Ausschuss kommt. Die Ursachen können vielfältig sein:
Insbesondere die fehlende Möglichkeit, Ausschuss direkt einer Anlage zuzuordnen, stellt bei der Berechnung des OEE-Qualitätsfaktors eine Herausforderung dar. Denn nicht immer erfolgt direkt nach der Ausführung eines Arbeitsganges auch eine fertigungsbegleitende Qualitätsprüfung. Teile werden häufig zwischengelagert und dann durch eine zentrale Prüfanlage oder -prozedur gejagt. An welcher Stelle nun das Problem genau auftrat, ist dann häufig unklar.
Die Stärke der OEE-Kennzahl liegt in ihrer einfachen Handhabung und der guten Visualisierung von Verschwendung bzw. Verfügbarkeits-, Leistungs- und Qualitätsverlusten – die ganze Bandbreite eben. Deshalb eignet sich die Kennzahl auch, um eine Kommunikation von Ergebnissen und Verbesserungsvorhaben vom Shopfloor bis zum Top-Management zu kommunizieren. Was nicht zuletzt der Tatsache geschuldet ist, dass der einzelne Maschinenbediener tatsächlich etwas an der OEE-Kennzahl einer Produktionsanlage bewirken kann, indem er z.B. Verbesserungsvorschläge für ein schnelleres Rüsten durch optimierte Arbeitsanweisungen oder eine Verbesserung der Arbeitsplatzergonomie einbringt.
Voraussetzung ist natürlich, dass Sie die OEE-Kennzahl nicht manuell mit Kästchenpaper und Taschenrechner erheben, sondern weitestgehend automatisiert mit Hilfe einer entsprechenden Datenbankanwendung berechnen lassen. Zudem sind in Sachen Produktions-IT einige Dinge zu beachten:
Die Berechnung der OEE-Kennzahl ist nun für Sie wahrscheinlich ein Klacks. Jetzt müssen Sie nur noch den Rest der Firma von der OEE-Kennzahl überzeugen. Die Konzeption und Umsetzung der OEE-Kennzahl in der Produktions-IT ist allerdings ein Fall für sich und gehört wie Eingangs schon erwähnt zum bunten Drumherum, das Sie in Was ist die OEE-Kennzahl? finden. Hier einfach mal vorm nächsten Meeting mit den Kollegen rumschmökern und dann mit den richtigen Argumenten in das Gespräch gehen.